Idle Idylls - Die Situation mit dem Covid19 - Virus in der Schweiz hat zu einem bisher, nie da gewesenen Stillstand geführt.
Die fotografischen Inhalte der Dokumentation beziehen sich auf Kultureinrichtungen, Dienstleister/innen und öffentliche Plätze,
die aufgrund der Koronapandemie geschlossen werden mussten oder wenig genutzt werden.

Watte & Whisky

Plötzlich fehlt der Takt, der Takt, dem wir uns immer unterordnen, weil wir müssen,
weil wir wollen. Plötzlich gleicht jeder Tag dem andern, fühlt sich jeder Tag wie
Sonntag an, wie ein Sonntag frühmorgens.
Ungläubig aufwachen und nach Geräuschen hören, die es nicht mehr gibt. Keine Menschen
auf der Strasse,kein lärmig lauter Pendlerverkehr vorne an der stets stark
befahrenen Strasse. Stattdessen aggressiv zwitschernde Amseln und Spatzen in sanften
Sonnenstrahlen. Plötzlich froh sein, dass wenigstens regelmässig die Kirchenglocken
läuten, die vorher genervt haben.

Draussen ist alles unwirklich, drinnen auch. Jeden Morgen sich fragen, ob das alles
vielleicht nur ein Traum ist? Die Nachrichten öffnen und sich fürchten. Sich nach
drinnen konzentrieren und trotzdem schlingern. Die Nachrichten nicht mehr öffnen und
sich einbunkern. Es braucht viel Watte in diesen Tagen. Watte und Whisky um genau zu
sein. Das ist plötzlich auch gemütlich und durchaus schön. Stillstand für alle. Solange
es dich nicht betrifft. Also weiterhin die Nachrichten nicht öffnen, Hände desinfizieren
und darauf hoffen, dass es dich nie trifft.

Von einem Tag auf den andern morgens aufwachen und merken, da ist etwas,
das stärker ist als wir. Wir, die immer gedacht haben, wir hätten alles unter Kontrolle.
Nachrichten lesen und sich fragen: Haben die das im Griff? Zweifel aufkommen
lassen und sich von einfachen Erklärungen verführen lassen. Dabei ist da einfach nur

Unsicherheit. Unsicherheit vor höheren Mächten, vor ausserordentlichen Situationen,
vor «Naturereignissen», die die Versicherungen nicht versichern.
Unsicherheit, die kaum auszuhalten ist. Unsicherheit, die zeigt, wie schutzlos wir
dem Universum ausgeliefert sind. Die zeigt, dass wir nicht die Stärksten sind auf
dieser Welt. Dass da Natur ist, die vielleicht nicht zurückschlägt, aber die auch da
ist. Die da ist und Wege sucht. Wir Menschen sind auch Natur, aber wir haben die Natur
nicht unbedingt immer im Griff.

Wir, die keinen Göttern mehr vertrauen, wir müssen uns plötzlich damit
auseinandersetzen, dass es Kräfte gibt, die wir nicht kontrollieren können. Nicht
dunkle oder böse Mächte. Sondern einfach Kräfte. Kräfte, denen nicht nur mit Medizin
zu begegnen ist, sondern auch mit Demut womöglich. Und mit Geduld. Geduldig an
draussen denken. Geduldig an die Orte denken, die jetzt fehlen. Weil das nicht nur
Orte sind, sondern Berührungspunkte mit anderen Menschen. Mit fremden Menschen, die
an diesen Orten lächeln und nicken und tanzen.

Gina Bucher, 2. Juni 2020

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